Historie

Die Ermstalbahn: Metzingen – Bad Urach

Die ungewöhnliche Geschichte einer württembergischen Nebenbahn

 

Am Anfang war es ein Glücksspiel: Im Jahre 1868 versuchte man in Urach, durch eine Lotterie die zum Bau einer Bahn erforderlichen Mittel zusammen zu bekommen, doch die Regierung versagte diesem Glücksspiel ihre Zustimmung. Anlass dieser Pläne war die Einstellung der täglich verkehrenden Postkutsche von Tübingen über Urach nach Ulm anlässlich der Eröffnung der oberen Neckartalbahn von Plochingen nach Tübingen am 20. September 1859. Im benachbarten Kirchheim reagierte man hierauf bereits 1864 mit dem Bau der ersten württembergischen Privatbahn von Unterboihingen, dem heutigen Wendlingen, nach Kirchheim. Auf dieser 6,11 Kilometer langen Strecke fuhren schon bald durchgehende Züge von Kirchheim bis Plochingen. Beachtlich war dies umso mehr, als der Bau von Eisenbahnen im Königreich Württemberg bis dato ausschließlich Sache des Staates gewesen war, die Staatsbahn sich aber gleichzeitig am Bau von Nebenbahnen zu dieser Zeit nur wenig bzw. gar nicht interessiert zeigte.
Insofern müssen uns die Bemühungen der Kirchheimer und der Uracher Bürger zu dieser Zeit geradezu als Pioniertat erscheinen.

Nach der missglückten Lotterie bemühte sich der Dettinger Schultheiß und Landtagsabgeordnete Müllerschön um politische Zustimmung zum Uracher Bahnprojekt. Doch wie so oft verzögerte ein Krieg, nämlich der Deutsch-Französische Krieg 1871 das Vorhaben. 1872 nahm sich die Württembergische Vereinsbank in Stuttgart der Sache an und am 12.06.1872 kam es zur Gründung der „Ermstalbahngesellschaft“ mit Sitz in Stuttgart. Ziel und Zweck waren Bau und Betrieb einer Zweigbahn von Metzingen nach Urach. Schon am 16.09.1872 erfolgte der erste Spatenstich und bereits am Samstag, den 27.12.1873, also nach über einjähriger Bauzeit, ging die Bahn feierlich in Betrieb. Emil Kessler, Direktor der Maschinenfabrik Esslingen und Erbauer der Bahn, begleitete die Jungfernfahrt höchstpersönlich. Fünf Zugpaare stellten in den ersten Jahren täglich die Verbindung zwischen Metzingen und Urach her.

Doch damit gab man sich keineswegs zufrieden. In Gedanken verlängerte man die Bahn durch das Seeburger Tal nach Münsingen, vor allem, nachdem Münsingen Garnisonsstadt wurde. Die Trassenführung der Ermstalbahn berücksichtigte von Anfang an dieses Vorhaben. Der Uracher Bahnhof wurde so angelegt, dass der Bau einer Querverbindung über die Alb von Metzingen über Urach und Münsingen nach Ulm ohne große Mehrkosten möglich war. Doch mit Eröffnung der Echaztalbahn von Reutlingen nach Honau und deren Verlängerung ein Jahr später nach Münsingen entstand der Ermstalbahn eine echte Konkurrenz.

Diese Situation führte zu einem spürbaren Rückgang der Verkehrsleistungen auf der Ermstalbahn. Erschwerend wirkten sich für die Gesellschaft auch die mittlerweile angefallenen Pensionen der Mitarbeiter aus, die zusammen mit den notwenigen Aufwendungen für die Gleisunterhaltung eine erdrückende Finanznot hervorgerufen hatten. So kam es zu Einschränkungen im Fahrplan und zur Erhöhung der Tarife, was zu massiven Beschwerden der Bevölkerung und des Gewerbes führte. Im Vergleich zur Staatsbahn betrug der Tarif annähernd das Doppelte und so kann es nicht verwundern, dass sich die Stimmen mehrten, die ein Verstaatlichung der Bahn forderten.
1904 wurde die Bahn schließlich nach längerem Tauziehen von der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahn übernommen und die Gleisanlagen umfassend saniert.
Nach Zusammenführung der Ländereisenbahnen zur Deutschen Reichsbahn im Jahre 1920 gehörte die Ermstalbahn zur Reichsbahndirektion Stuttgart. Nach Gründung der Deutschen Bundesbahn 1949 wurden schon ein Jahr später die ersten parallel zur Bahn verkehrenden Bahnbusse zwischen Metzingen und Urach eingesetzt.

Noch verkehrten allerdings 14 Züge an Werktagen und 15 Züge an Sonn- und Feiertagen auf der Ermstalbahn. Bis 1968 ging die Anzahl der Züge auf fünf an Wochentagen und an Sonn- und Feiertagen zwölf zurück. Der Bus hatte die Bahn immer mehr mit dem Argument verdrängt, dass die Ortschaften Neuhausen und Dettingen besser erschlossen würden.

Ende der 60er Jahre wehrten sich Kreistag und Gemeinderäte gegen die Absichten der Deutschen Bundesbahn, den Schienenverkehr weiter einzudämmen und so wurde letztlich auch im Ermstal der Schienenbus eingesetzt. Anfang 1969 war der Presse zu entnehmen, dass man die ursprüngliche Absicht, die Strecke für den Personenverkehr stillzulegen, aufgegeben habe. Dazu beigetragen hatte sicher auch die Eröffnung des Thermalbades in Urach im März 1972. Während der Reutlinger Generalanzeiger in seiner Ausgabe vom 27. Dezember 1973 auf den 100. Geburtstag der Ermstalbahn hinwies, wurden bereits ein Jahr später die Dettinger Bürger durch die Schließung ihres Bahnhofes aufgeschreckt. Am 18. Mai 1973 war schließlich in der lokalen Presse zu lesen, dass die DB 13 Strecken, darunter auch die Uracher, auf ihre Wirtschaftlichkeit überprüfe.

Von diesem Zeitpunkt an war klar, dass die Ermstalbahn keine große Zukunft mehr haben würde, denn mit ihrem eigenen Tochterunternehmen, dem Bahnbus, hatte sich die DB selbst Konkurrenz gemacht. Schließlich verkehrten nunmehr noch drei Zugpaare an Wochentagen. Angesichts des stark wachsenden Straßenverkehrs mit bis zu 18.000 Kfz pro Tag und 3.200 Pendlern forderten Urach und Dettingen Mitte Januar 1975 einen erweiterten Triebwagenverkehr mit Einmannbetrieb und Fahrkartenautomaten.
Nachdem am 1. Juni 1975 der Bahnhof Urach geschlossen worden war, endete der Reisezugverkehr auf der Ermstalbahn am 28. Mai 1976.

An diesem endgültigen „Aus“-Zustand hätte sich nichts geändert, wäre da nicht Roland Hartl gewesen, der Inhaber des SRV (Schwäbisches Reise- und Verkehrsbüro). Er übernahm nach Schließung des Bahnhofes nicht nur Fahrkartenverkauf, Auskunft und Gepäckbeförderung mit zuletzt mehreren tausend Koffern im Jahr, sondern er bezog auch öffentlich Stellung und unterbreitete Vorschläge, wie eine Weiterführung oder Wiederinbetriebnahme der Bahn aussehen könnte. Hartls Vorschläge stießen bei den zuständigen Stellen jedoch zumeist auf Unverständnis und Desinteresse.
Doch Roland Hartl gab nicht auf und organisierte in den Folgejahren immer wieder Sonderfahrten auf der Strecke, sowie jedes Jahr einen Sonderzug mit mehreren hundert Teilnehmern zu besonderen Anlässen wie Landesgartenschau, Bundesgartenschau oder besonderen Wanderzielen. Einmal fuhr sogar ein neuer ICE von Metzingen mit Anschluss aus Bad Urach nach Kassel.

Unterstützt wurde er in den vielen Jahren durch engagierte Eisenbahnfreunde, die zu diesem Zweck sogar einen Verein gründeten: „Pro Ermstalbahn“. Für „ihre Bahn“ opferten diese ehrenamtlichen Helfer viele Sonn- und Feiertage, indem sie sich beispielsweise um Streckenunterhaltung, Verkauf von Sonderzugfahrkarten im Zug oder um die Zugbetreuung kümmerten.

Am 05.07.1988 gründete Roland Hartl mit weiteren neun Gesellschaftern die „Ermstal-Verkehrsgesellschaft mbH“, kurz EVG genannt. Gemeinsam mit der WEG wollte die EVG eine Betriebsgesellschaft ins Leben rufen, um den Bahnbetrieb in Eigenregie zu übernehmen.

Unzählige Gespräche waren hierfür notwendig, unter anderem mit den Ermstalgemeinden, dem Kreistag, dem Landratsamt, dem Regionalverband, dem Regierungspräsidium Tübingen, der Deutschen Bundesbahn, der RAB (Regionalverkehr Alb-Bodensee) und dem Verkehrsministerium.

Geschäftsführer der neuen GmbH wurden Roland Hartl und Thomas Kirchner, dessen Vater die Zentralwerkstatt der Württembergischen Eisenbahngesellschaft mbH in Neuffen leitete. Der Name Kirchner ist allen Beteiligten noch in guter Erinnerung, immerhin war die Familie unermüdlich für die EVG und ihre Ziele tätig. Leider verstarb der engagierte junge Ingenieur Thomas Kirchner viel zu früh und unerwartet.

Bald stellte man fest, dass zum Erreichen der Ziele eine breitere Basis zur Kapitalbeschaffung notwendig war, und so wurde aus der EVG GmbH die EVG Aktiengesellschaft. Auf Anhieb beteiligten sich über 1.000 Aktionäre. Die EVG AG nahm am 1. Januar 1992 ihre Tätigkeit auf und löste die GmbH ab. In kurzer Zeit wuchs das Stammkapital auf über 350.000 DM.

Erneut kam es zu Verhandlungen mit der Hauptverwaltung der Deutschen Bahn AG und schließlich gab der Vorstandsvorsitzende Heinz Dürr grünes Licht für die Übernahme der Bahnstrecke Metzingen – Dettingen – Bad Urach. Am 1. Januar 1994 ging die Strecke in den Besitz der EVG über.

Zuvor war ein kurzes Teilstück oberhalb der Papierfabrik von der DB gesperrt worden, was für zukünftige Sonderfahrten das Ende bedeutet hätte. Anlässlich eines Besuches des damaligen Verkehrsministers des Landes, Dr. Thomas Schäuble, informierte Roland Hartl über die Schwierigkeiten bei der Reaktivierung der Strecke und konnte erreichen, dass sich das Land bei der Sanierung des maroden Gleisabschnittes finanziell beteiligte.

Doch damit war immer noch kein endgültiger Betrieb gesichert. Die Gegner der Bahn, vor allem Busunternehmer und einige Lokalpolitiker, versicherten immer wieder, dass ein Bahnbetrieb nicht finanzierbar wäre.

Dass die Bahn schließlich am 30. Mai 1999 wieder in Betrieb ging, ist darauf zurückzuführen, dass die Eisenbahnfreunde um Roland Hartl nicht aufgaben, und der neue Verkehrsminister des Landes, Hermann Schaufler, voll hinter der Bahn stand, ein cleverer Ortsvorsteher in Neuhausen namens Salzer die Stadt Metzingen überzeugte und beim Landratsamt ein Personalwechsel stattfand. Der neue stellvertretende Landrat Thomas Reumann war das Gezerre leid und nahm das weitere Vorgehen im Einvernehmen mit der EVG, inzwischen in ENAG (Erms-Neckar-Bahn AG) umbenannt, selbst in die Hand. In Anbetracht der immer drückender werdenden Verkehrsprobleme im Tal waren die Ermstalgemeinden in der Zwischenzeit zu mehr oder weniger einmütigen Entschlüssen gekommen und der Weg war frei für eine neue Ermstalbahn!

Heute verkehrt die Bahn stündlich mit meist durchgehenden Zügen bis Herrenberg, eine Tatsache, an die vor Jahren niemand geglaubt hätte. Die Bahn wird sehr gut angenommen und in Gedanken ist man schon beim Halbstundentakt.
Betrieben wird die Bahn von der DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee in Ulm. Dies ist insofern eine Ironie der Geschichte, als die RAB eine 100%-ige Tochter der DB AG ist, deren ungeliebtes Kind die Ermstalbahn einst gewesen ist.

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